Nettofinanzschulden (net financial debt) in M&A-Transaktionen
Beim Unternehmensverkauf wird oft ein auf EBIT- oder EBITDA-basierter Unternehmenswert offeriert. Der Kaufpreis für das Eigenkapital (resp. für die Aktien/Anteile) ergibt sich, indem vom Unternehmenswert die Nettofinanzschulden (net financial debt) abgezogen werden. Die Nettofinanzschulden sind definiert als Finanzschulden abzüglich Cash.
Was klar und einfach tönt, ist in M&A-Verhandlungen oft Gegenstand zäher Verhandlungen: Sowohl Cash- wie auch Finanzschuldenpositionen werden von Käufer und Verkäufer unterschiedlich betrachtet. Der Interpretationsspielraum bei der Bestimmung der Nettofinanzschulden ist gross und die zu betrachtenden Faktoren vielfältig. Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, empfehlen wir Unternehmensverkäufern eine frühzeitige Diskussion der wesentlichen Positionen. Käufer versuchen häufig, sich den Verhandlungsspielraum über die Nettofinanzschulden möglichst lange offen zu halten, um damit kurz vor Finalisierung der Transaktion noch Kaufpreisreduktionen zu erwirken.
Aus unserer Transaktionserfahrung haben wir die häufigsten Diskussionspunkte zusammengetragen:
Cash
Käufer argumentieren, dass nicht das gesamte Cash von den Finanzschulden abgezogen werden darf. Nicht abzuziehen sei ein minimaler betriebsnotwendiger Cash-Bestand (minimum cash) sowie nicht verfügbare liquide Mittel z.B. in Form einer Kaution (trapped cash).
Cash-erhöhend bringen Verkäufer Arbeitgeberbeitragsreserven in die Diskussion ein. Diese wirken in Zukunft personalkostenreduzierend, jedoch gewinn- und damit steuererhöhend. Da die Cash-Beiträge in der Zukunft liegen, sind sie um den Steuereffekt zu reduzieren und auf den Gegenwartswert zu diskontieren. Dasselbe gilt für Steuerguthaben oder verrechenbare Verlustvorträge. Letztere werden wegen ihres zeitlich und betragsmässig unsicheren Anfalls oft als bedingte Kaufpreisnachzahlungen definiert.
Schwankungen im betrieblichen Nettoumlaufvermögen (net working capital) wirken sich unmittelbar auf den Cash-Bestand aus. Die liquiden Mittel können zum Stichtag gerade deswegen so tief sein, weil das Nettoumlaufvermögen ausserordentlich hoch ist. Sowohl Verkäufer wie auch Käufer haben ein Interesse, solche zufälligen Schwankungen des Cash Bestandes zu neutralisieren. Dies geschieht mittels gemeinsamer Festlegung eines normalisierten Nettoumlaufvermögens (normalized net working capital), welches oft den Durchschnitt des Nettoumlaufsvermögens der vergangenen Monate darstellt und saisonale Schwankungen berücksichtigt. Differenzen zwischen der definierten Normalhöhe und dem effektiven Bestand am Übernahmestichtag werden dem Cash-Bestand zu-/abgerechnet.
Die vergangenheitsorientierte Ermittlung des normalisierten NUV scheitert teilweise an fehlenden Daten. Dann muss es abgeschätzt werden.
Für beispielsweise sehr dynamisch wachsende Unternehmen, bei volatilem Geschäftsverlauf (z.B. oft im Anlagen- und Maschinenbau) und Unternehmen mit vorauseilender Zahlungsusanz (z.B. alle Lieferverpflichtungen werden im Schnitt 14 Tage vor Fälligkeit bezahlt) ist die Methodik anzupassen.
Finanzschulden / Debt-like Items
Bankschulden und Darlehen (zinstragende Verbindlichkeiten) gehören zu den Finanzschulden. Dies ist der einfachste Fall.
Aber auch konzerninterne Verbindlichkeiten werden insoweit zu den Finanzschulden geschlagen oder abgezogen, als die Zahlungsfrist weit über das übliche Mass (zu diskutieren) hinaus erstreckt bzw. unnötig früh gezahlt wird.
Weit überfällige oder unüblich früh bezahlte Lieferantenverpflichtungen werden in der gleichen Logik ebenfalls als Finanzschuld betrachtet (Kreditorenüberhang oder -unterhang). - Im selben Umfange sind sie jedoch bei der Berechnung des normalisierten Nettoumlaufvermögens zu neutralisieren.
Im Gegensatz zu Mietverpflichtungen sind Leasingverpflichtungen Finanzschulden, wobei für die Bewertung des Unternehmens die Leasingrate in einen Abschreibungs- und Zinsanteil aufzuteilen ist.
Steuerschulden werden oft „wie Finanzschulden“ betrachtet: „Wer den Ertrag beanspruchte, soll auch die Steuer bezahlen“. Dies ist (soweit die Steuerschulden nicht überfällig sind) eine käuferfreundliche Betrachtung. Es gibt gute Gründe, die Steuerguthaben und -verbindlichkeiten im Rahmen des normalisierten Nettoumlaufsvermögens zu behandeln. Immerhin sind nicht fällige Steuerverbindlichkeiten zinslos und stellen die alljährliche Rechnung des Staates für seine Leistungen dar (analog Lieferantenverpflichtungen).
Zu den „debt-like items“ werden auch Anzahlungen von Kunden geschlagen. Meistens zu Unrecht. Insbesondere, wenn die Anzahlungen zum Geschäftsmodell gehören, wiederkehrend und die Laufzeiten nicht von sehr langer Dauer sind. Anzahlungen werden dann als Teil des Nettoumlaufvermögens behandelt.
Weitere von Käufern oft erwähnte debt-like items sind ungedeckte Pensionskassenverpflichtungen, nicht bezahlte überfällige Boni, out-of-the-money Derivate, Restrukturierungskosten und Rückstellungen für Rechtsfälle.
Fazit
Wiederkehrende Positionen, welche aus dem normalen Geschäftsverlauf (normal course of business) entstehen, gehören nicht zu den Nettofinanzschulden, sondern werden im Rahmen der Normalisierung des Nettoumlaufvermögens berücksichtigt. Positionen mit Finanzierungscharakter oder ausserordentlichem, einmaligem, betriebsfremdem Charakter sind generell über Nettofinanzschulden abzubilden. Eventualverbindlichkeiten oder in unbekannter Höhe bzw. zu unsicherem Zeitpunkt eintretende Verpflichtungen werden oft besser mittels vertraglicher Bestimmungen (Freistellung, Gewährleistung, etc.) geregelt.